Das Buch zeichnet sich vor allem durch seine große Anzahl bisher unveröffentlichter Photodokumente aus (ca. 250 Abbildungen), die in mühevoller Recherchenarbeit zusammengetragen wurde. Viel Inhalte gehen auf Interviewaussagen alteingesessener Bürgerinnen und Bürger dieses Stadtteils zurück oder untermalen die aus historischen Quellen gewonnenen Fakten. Die Mischung aus professionellen und Hobby-Historikern unter den Mitgliedern der Autorengruppe garantiert, dass den Leser keine trockenen Abhandlung historischer Details erwartet, sondern eine Lesereise in den "fernen Münchner Osten"., der den angestammten Bewohnern viele erinnerungsreiche Aha-Erlebnisse, den Neubürgern aber neue und hoffentlich interessante Einsichten in diese Region gestattet.
Die Autorengruppe des soeben erschienenen Buches verfolgt das Ziel, den sozio-geografischen Raum des Münchner Ostens (hierzu gehören außer Trudering auch Riem, Waldtrudering und Michaeliburg) in seiner geschichtlichen Entwicklung darzustellen. Vom mittelalterlichen Bauerndorf vor den Toren Münchens zum modernen Stadtteil der Landeshauptstadt mussten die ursprünglich selbständigen und traditionsreichen Orte Trudering und Riem einen langen Weg zurücklegen.
Das Buch setzt sich durch seinen breiteren Ansatz bewusst von einem – inzwischen längst vergriffenen Vorläufer: "Truderinger Chronik" des Lehrers Joseph Brückl ab, der 1972 eine 600 Seiten umfassende detail- und kenntnisreiche Aufzählung einzelner, ausschließlich auf Trudering bezogener Hof- und Schulgeschichten bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorlegte. Dagegen stellt der jetzt im Buchendorfer Verlag erschienene Band mit dem Untertitel "Münchens ferner Osten" globale historische Zusammenhänge und Strukturveränderungen in den Vordergrund und bezieht sich zeitlich vor allem auf die Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg bis zum Jahr 2000. Einschneidende geschichtliche Ereignisse und Epochen wie z.B. die Folgen der Industrialisierung und der Verkehrserschließung in diesem Raum, der Prozess der Selbstaufgabe einer eigenständigen gewachsenen Dorfgemeinde durch die Zwänge wirtschaftlicher Not, die Zeit des Nationalsozialismus, des 2. Weltkriegs und des Wiederaufbaus oder die Entstehung neuer Villenkolonien und Siedlungen erhalten so besonderes Gewicht. Dabei kommen allerdings auch skurrile und erinnerungswerte Persönlichkeiten und Begebenheiten dieses ehemals dörflichen Raumes nicht zu kurz.
Im Folgenden Inhaltsbeschreibungen der wichtigsten Kapitel:
Bücher, die sich mit Heimatkunde und Geschichte befassen, beginnen meist "in grauer Vorzeit". So auch dieses Buch. Durch Gräberfunde stellten Archäologen fest, dass vor den Truderingern die Kelten, Römer und Bajuwaren hier gewohnt haben, lange bevor sich Truchtharo, dem wir den Ortsnamen verdanken, hier angesiedelt hat. Und lange danach kam die erste urkundliche Erwähnung (772), als Hiltiprant seiner Sünden wegen über die Hälfte des Ortes dem Bischof von Freising schenkte. Das Kapitel endet mit der Frau Uta, die um 1085 der Ortskirche 1854 Tagwerk Land stiftete und dadurch die Lage der Bauern etwas mildern konnte. (Xaver Erlacher)
Mit rund 50 bäuerlichen Anwesen ist das Doppeldorf Kirch- und Straßtrudering nach Perlach die größte Ortschaft im Münchener Raum östlich der Isar. Jede Gemeinde ("Gmoa") hat eine Handvoll Vollbauern und etwa ebenso viele Halbhöfe (Huben). Die größere Hälfte der Anwesen verteilt sich auf Lohen (Viertelshöfe) und (Bau-)Salden, die in der Regel von Taglöhnern, Handwerkern oder Gewerbetreibenden bewohnt sind. Bis zur Säkularisation im Jahr 1803 liegt das Obereigentum in der Mehrzahl W Klöstern und Kirchen umliegender Orte. Der Bodenertrag ist gering. Haupteinschnitte in der Dorfgeschichte sind der 30-jährige Krieg mit zahllosen Brandfällen und Seuchen (Pest), eine Typhus-Epidemie Ende des 17. Jahrhunderts, Missernten und Kriegs- und Hungerjahre im 18. Jahrhundert. Kirchlich gehört das Pfarrvikariat Trudering mit den Filialen Gronsdorf, Riem und Haar bis 1838 zur Pfarrei Bogenhausen. schulisch zur Eremitenschule St. Veit, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein mehrjähriger Schulstreit schließlich 1840 zu einer eigenen Truderinger Schule führt. (Willibald Karl)
Wie gut die "gute alte Zeit" wirklich war – oder auch nicht – wird bei "Bauern und Bauernland im Wandel" beschrieben. Um 1800 gab es in Trudering 50 Höfe. Die Bauern litten unter den Abgaben und Dienstleistungen an ihre Grundherren. Erst als sie Gemeinschaftsgründe aus der Utaischen Schenkung als Eigentum erhielten, das Obereigentum ablösen konnten, der Zehent und andere Belastungen wegfielen, der Flurzwang aufgehoben wurde und damit freie Eigentümer waren, wurde es wirtschaftlich besser. Das stadtnahe Trudering fand als Wohngebiet zunehmend Interesse, und Bauland wurde gefragt. Seit 1975 gibt es hier nur noch einen Bauern.
(Johann Lermer und Rudolf Widermann )
Mit dem Anschluss Truderings und Riems an das Bahnnetz 1870 begann für beide Orte die Entwicklung hin zum Vorort. Unter der Überschrift "Im Sog der Großstadt" zeichnen die Autoren die 130-jährige Bahn-Geschichte Truderings nach, die schon von der Bau-Vorgeschichte her reich an Besonderheiten war. Hierbei werden viele Fakten und Geschehnisse erstmalig im Zusammenhang dargestellt und durch zahlreiche unveröffentlichte Fotos veranschaulicht. Kurzum: nach Lektüre dieses Kapitels wird man/frau eine Fahrt mit der S5 mit ganz anderen Augen betrachten.
(Gundula und Georg Kronawitter)
Waldtrudering entstand um die Jahrhundertwende vor 100 Jahren. Zuerst waren es nur Gartenbänke, auf denen man den freien Sonntag in seinem Waldgrundstück genoss. Bald wurden es kleine Holzgartenhäuser und etwa ab 1905 wurden die ersten Steinhäuser gebaut. Das Gebiet des heutigen Waldtruderings war damals noch fast durchgehendes Waldgebiet, ohne Straßen, ohne Licht und ohne Wasser. Erst ab 1930 wird die Strom- und Wasserversorgung in ausreichendem Maße erstellt.
Der Autor des Artikels, Peter Wagner, der seit 60 Jahren in Waldtrudering wohnt, versucht gerade diese Anfangsjahre zu beschreiben. Über 40, zum Teil noch unveröffentlichte Photos, machen die Entwicklung dieses Ortsteiles deutlich. (Peter Wagner)
Die Eingemeindung nach München erfolgte im Jahre 1932 nicht, weil die Truderinger städtisch werden wollten, sondern weil die Gemeinde nicht mehr zahlungsfähig war. Während der Weltwirtschaftskrise stiegen die Soziallasten so sehr, dass für andere Maßnahmen kein Geld mehr übrig war. Die Stadt zögerte und diktierte die Übernahmebedingungen. Die Truderinger hatten aber keine Wahl, als sich zu fügen.
Nach nun fast 70 Jahren fragt man sich gelegentlich noch immer, ob es nicht doch möglich gewesen wäre, wie andere benachbarte Gemeinden, selbstständig zu bleiben. Einwohnerzahlen und Wirtschaftskraft sprächen durchaus dafür. (Johann Lermer)
Das Erstarken des Nationalsozialismus geschieht in dieser Region Münchens zeitgleich mit der Eingemeindung Truderings und – sieben Jahre später auch Riems. Im Kapitel "Die verdrängte Zeit des Nationalsozialismus" werden die strukturellen, aber auch die psychosozialen Veränderungen in diesen beiden, im allgemeinen vermutlich eher durchschnittlich nationalsozialistisch geprägten ländlichen Gemeinwesen nachgezeichnet, wobei der Focus auf unbekannte, vergessene oder verdrängte Momente der Geschichte gelegt wird. Himmler als Bürger Truderings, die Alltagsatmosphäre der Hitlerzeit, die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik auf die Erwerbsituation oder die Schule in diesem Raum kommen ebenso zur Sprache wie einzelne Schicksale jüdischer Bürger oder der Einsatz von KZ-Arbeitern und Kriegsgefangenen.
(Vera Sprau)
Das Kapitel "Zwischen Kriegsbeginn und Besatzungszeit" ruft am Beispiel Truderings und Riems die besondere Situation der Stadtrandviertel als Auffangbecken ausgebombter Münchner während des Krieges ins Bewusstsein. Durch den nahen Flughafen, der insbesondere während der letzten Kriegsmonate gehäuft Ziel alliierter Angriffe war, spitzte sich die Situation besonders zu. Das Kriegsende und die chaotische, vor allem aber entbehrungsreiche Nachkriegs- und Besatzungszeit hinterließen ebenso Spuren wie die sozialdemographische Umwälzung durch die notwendige Integration einer großen Anzahl von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen; Zeiten und Geschehnisse, die – wie die gesamte Zeit des Nationalsozialismus - den östlichsten Stadtteil Münchens entscheidend mitgeprägt haben, aber auch heute noch in vielen Stadtteilchroniken vernachlässigt werden. (Vera Sprau)
Erstmals wird im Kapitel "Münchens Tor zur Welt rückt ostwärts" die Geschichte des ursprünglich eigenständigen Bauerndorfes Riem zugänglich gemacht. 300 Jahre vor München gegründet, gehörte Riem verwaltungsmäßig zu Dornach, war (und ist) aber gleichzeitig an die Pfarrei Trudering gebunden. Es liest sich wie ein Lehrstück von der Abhängigkeit kleiner Gemeinden in unmittelbarem Einflussbereich von Großstädten, wie Riem nach Jahrhunderten der Unberührtheit innerhalb eines einzigen, des 20. Jahrhunderts, zum Standort mehrerer Großprojekte Münchens wird. Zwar hat der Ort partiell immer von diesen Projekten profitiert, deren Folgen veränderten seinen Charakter jedoch drastischer als dies anderswo der Fall war: Die Rennbahn, der Flughafen, der die Eingemeindung erzwang, die Messe und die Messestadt werden in ihrer Entwicklung und in ihrem Bezug zum gewachsenen Raum, in den sie gestellt sind, behandelt. (Vera Sprau)
Das Ende des zweiten Weltkriegs prägte auch Trudering: Im Kapitel "Wiederaufbau und Wirtschaftswunder" rückt. Georg Kronawitter, selbst ein Spross dieser Jahre (* 1952) die typischen Facetten (wieder) ins Bewusstsein: Die unglaublichen Pioniertaten beim Werden der Batschka-Siedlung wie Roh-Bau-Erstellung übers Wochenende, aber auch erfolgreiche lokale Unternehmer, die geschickt den beginnenden Automobil- und Kunststoff-Boom ausnutzten. Dass auch damals erstaunlich aktuelle Bau-Innovationen angesagt waren, beweist die Beschreibung des ungewöhnlichen Öko-Hauses des Architekten Walter Sanzin. (Georg Kronawitter)
Die Jahrzehnte nach der 1200-Jahr-Feier Truderings (1972) wurden nach lokalhistorischen Ereignissen aufbereitet. Hier fanden auch Institutionen und Vereine Erwähnung, ohne die ein gesellschaftliches Zusammenleben nicht denkbar wäre. Das stetige Wachsen des Stadtbezirks 15, die drängenden Verkehrsprobleme und der ständige Kampf um eine erträgliche Infrastruktur werden in diesem Kapitel spürbar. (Xaver Erlacher)