Stadtteilbuch Trudering - Waldtrudering - Riem: Trudering-Riem - Hort der aktiven Bürgergesellschaft?

(Auszug)

Mit dem vorangegangenen Mosaik (dem Beitrag "Trudering heute" von Xaver Erlacher) ist deutlich geworden, dass Trudering-Riem ein lebendiger Stadtbezirk ist. Da die Stadt München seit geraumer Zeit die Stärkung der Stadtviertel und der Bezirksausschüsse auf ihr Panier geschrieben hat, gibt dies Gelegenheit, intensiver auf die Rolle des Stadtbezirks und insbesondere auf die Rolle des Bezirksausschusses in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einzugehen.

Eine kleine Historie: Vom Rama dama zur demokratischen Urzelle

Die Einführung von Bezirksausschüssen durch den Münchner Stadtrat im Oktober 1947 war zwar ursprünglich aus der Not der ersten Nachkriegsjahre geboren, von Anfang an war aber der Gedanke präsent, hieraus bei Bewährung eine Dauereinrichtung zu machen. Mit der Einführung von Bezirksausschüssen war zunächst die sehr konkrete Hoffnung verbunden, in den Stadtvierteln mehr freiwillige Helfer für die anstehenden öffentlichen Aufräumungs- und Aufbauarbeiten zu finden, die von der Stadtverwaltung alleine nicht geleistet werden konnten. Darüberhinaus spielte in der demokratiebewußten Aufbruchstimmung jener Zeit auch eine Rolle, dass gerade in Großstädten hier strukturelle Defizite an konkreter Demokratie vorliegen: So befand schon der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 1950 in einer Stellungnahme: "Die großstädtischen Verwaltungsapparate haben sich zu zentralisierten und spezialisierten Mammutbehörden entwickelt, deren nicht selten orts- und landfremde Beamtenschaft den Anliegen und Bedürfnissen der ihr unbekannten Bürger weit fremder gegenübersteht wie die mit den Verhältnissen ... vertrauten Landratsämter. Die großstädtische Bevölkerung ... wieder näher an den Staat heranzuführen, muß heute die Aufgabe einer ... Staatsregierung sein."

Diese an Klarheit nicht zu überbietende Zustandsbeschreibung vor 50 Jahren hat nichts von ihrer Aktualtiät eingebüßt. Kommunalpolitisches Engagement findet nach wie vor ihre Grenzen in der großstadt-spezifischen Aufgabenteilung zwischen einer mit Machtfülle ausgestatteten Stadtverwaltung und dem für die großen städtischen Leitlinien zuständigen Stadtrat.

Die erfolgreiche - punktuelle - Durchsetzung von Stadtviertelbelangen setzt dabei entweder glückbehaftetes Verhandeln der lokalen Akteure, insbesondere der BA-Vorsitzenden, hinter den Kulissen voraus - oder eine machtvolle, breite Bürgerbewegung vor Ort, die auch die Zentralstadt nicht länger negieren kann. Für beides bietet die Trudering-Riemer Geschichte zahlreiche Beispiele.

Bezirksausschuss und Bürgerinitativen

Erster BA-Vorsitzender des damals noch 32. Stadtbezirkes wurde nach den Stadtratswahlen vom 30. Mai 1948 Josef Herrmann. Die erste Truderinger Bürgerversammlung fand am 15. Mai 1949 in der Gaststätte "Gartenstadt" statt. In der Versammlung ging es u.a. um den Flughafen Riem, die schlechten Straßen, die Buszubringerlinien. Und: Trudering fühlte sich von der Stadt nicht ausreichend betreut - bereits hier erscheint also das nur zu gut bekannte Leitmotiv.

Die Absiedlung des Flughafens München-Riem nach der Flugzeugkatatstrophe 1960, als eine amerikanische Militärmaschine an der Paulskirche abstürzte und ein Inferno anrichtete, wurde insbesondere unter den BA-Vorsitzenden Ernst Hochholzer (1960 bis 1978), Hugo Weiss (1978 bis 1991) ein Hauptthema ihres Engagements, während sich das Stadtviertelgremium unter Günter Deppisch ab 1991 dieses Thema "abhaken" konnte, um sich mit dem Werden der Messestadt intensiv zu beschäftigen. Die hohe Bedeutung des Flughafenthemas über etwa drei Jahrzehnte ist verständlich, da insbesondere der Ortskern von Trudering durch die tieffliegenden Flugzeuge in seiner Entwicklung nachhaltig gestört wurde.

Das BA-Engagement fand seine Entsprechung in zwei Bürgerbewegungen, die sich in Trudering mit der gleichen Zielsetzung gebildet hatten. Diese langjährig aktive Bürgerbewegungen für eine Absiedelung des Flughafens München-Riem waren die ersten ihrer Art in Trudering und lösten sich erst nach dem Umzug des Flughafens am 17.Mai 1992 auf.

Auch die weiteren Truderinger Bürgerinitiativen konnten sich inhaltlich auf die Unterstützung des jeweiligen BAs verlassen: Dies gilt für die Initiative für einen angepaßten Ausbau der Wasserburger Landstraße (1972/1974) ebenso wie für die Bürgerhaus-Initiative (seit 1972), die Gartenstadt-Initiative (1991/1994), das Bürgerforum Friedenspromenade (1995-1999) und die Rolltreppen-Initiative (1998). Auch die Unterschriftensammlung für ein Alten- und Service-Zentrum Bognerhof-Weg kann als Bürgerinitiative gewertet werden, auch wenn sie auf die Initiative örtlicher Stadträte zurückgeht.

Die Bildung von stadtviertelbezogenen Bürgerinitiativen war somit in Trudering-Riem nie Beleg für die Bürgerferne der BAs, sondern vielmehr das äußerste Mittel, um die Stadt-Zentrale (Verwaltung, Oberbürgermeister und Stadtrat) lautstark und nachhaltig auf den örtlichen Bürgerwillen hinzuweisen. Mit Ausnahme der Friedenspromenade-Bewegung, die von der Stadt zum stadtweiten Referendum über die Wohnungsbaupolitik erhoben wurde, waren alle oben angeführten und abgeschlossenen Truderinger Bürgerbewegungen erfolgreich.

Wenn man bedenkt, dass seit 1996 der BA als lokale Bürgervertretung in seinen Rechten aufgewertet worden ist und sogar erstmalig über "Entscheidungsrechte" verfügt, ist doch auffällig, dass seither in fast jedem Jahr in Trudering eine Bürgerbewegung entstanden ist.

Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe: Der erste Grund ist, dass die Entscheidungsrechte der BAs in der kommunalpolitischen Praxis kaum relevant sind. Die Entscheidungsrechte greifen ja nicht in die Autonomie der Stadtverwaltung ein, sondern wurden ausschließlich aus der Zuständigkeit des Stadtrats übertragen. Dort liegen aber weiterhin alle wichtigen stadtviertelspezifischen Kompetenzen insbesondere im Bereich der Bauleitplanung. Auch die seit Januer 2001 gegebenen Budgets für BAs (DM 70 000 für Trudering-Riem pro Jahr) sind ausschließlich für Fördermaßnahmen zu verwenden.

Der zweite Grund dürfte sein, dass in den Stadtvierteln die langjährige Aufwertungsdiskussion ihre Spuren hinterlassen hat und die Bürgerschaft beginnt, die Versprechungen der Stadtzentrale einzufordern. In Trudering-Riem kommt hinzu, dass ein großer Nachholbedarf gerade im Bereich kommunaler Infrastruktur herrscht: Fehlende weiterführende Schulen, Senioren-Einrichtungen, Kindergartenplätze oder Servicestellen führen seit Jahren zu einem wachsenden Verdruß auf "die Stadt". Der wird noch kräftig verstärkt, wenn führende Repräsentanten "der Stadt" keinen Hehl daraus machen, dass in der benachbarten Messestadt städtischerseits eine sozial-kulturelle Voll-Versorgung selbstverständlich ist. Nicht dass die Alt-Truderinger dies den Messestadt-Bewohnern nicht gönnen würden, aber dass sie selbst immer wieder im stadt-internen Ranking untendurchfallen, widerspricht ihrem Gerechtigkeitsempfinden. Symptomatisch hierfür ist der Kampf um die Situierung des ersten (und für lange Zeit wohl einzigen) Alten- und Service-Zentrums in Trudering-Riem, das nach dem Willen der Stadtverwaltung in die Messestadt Riem kommen soll, obwohl der akute Bedarf in Trudering-Riem gegeben ist.

In all diesen Fällen haben die Truderinger Bürgerbewegungen auf der Beschlusslage im BA aufbauen und einen öffentlichen Dauer-Druck erzeugen können, der dem BA als Gremium nicht zu Gebote steht.

Bezirksausschuss und Bürgergesellschaft

Die neuen Budgetrechte der BAs sollen beitragen, die bürgerschaftlichen Aktivitäten auf Stadtviertelebene zu fördern. Das auch vom Bayerischen Landtag verstärkt propagierte Leitbild der aktiven Bürgerbesellschaft läßt grüßen. Es gibt aber nicht wenige BA-Mitglieder quer über alle Parteien, die fürchten, dass sich die neuen Budgetrechte eher zum Nachteil der BAs auswirken könnten, weil die damit geweckten Begehrlichkeiten nicht gänzlich erfüllt werden können. Andererseits ist es bereits heute gängige Praxis, dass der BA mit entgegengesetzten Bürgerwünschen zurandekommen muss. Der BA sollte daher beherzt die Chance ergreifen und demonstrieren, dass ein kommunales Wahlorgang sehr wohl transparente, nachvollziehbar begründete und das Gemeinwohl beachtende Entscheidungen fällen kann. Gerade die Transparenz ist bestens geeignet, um dem BA eine möglichst objektive Entscheidungsgrundlage zu liefern und und der Öffentlichkeit eine ebensolche Diskussionsgrundlage. (Demgegenüber ist es ein ausgesprochenes Ärgernis, dass auf gesamtstädtischer Ebene keinerlei Versuche unternommen werden, bei den freiwilligen Leistungen Transparenz nachzuweisen oder gar eine Art von Stadtviertel-Gerechtigkeit anzustreben.)

Dem BA kommt dabei zugute, dass in Trudering-Riem seit jeher bürgerschaftliches Engagement hoch im Kurs ist - man bedenke nur, dass Trudering das einzige Münchner Stadtviertel ist, in dem ein Verein über eine halbe Million für ein Bürgerhaus sammeln konnte. Erfreulich ist auch, dass sich auch in der Messestadt Riem von Anfang an ein lebendiges bürgerschaftliches Engagement herausgebildet hat.

Alles in Ordnung also? Keineswegs: Denn auch die neuen Akteure in der Messestadt mußten bereits die leidvolle Erfahrung machen, dass ein großer Teil ihres bügerschaftlichen Engagements aufgezehrt wird vom Kampf gegen die städtische Bürokratie. Wie jeder BA-kundige weiß, liegt dies in der Regel nicht an den städtischen Mitarbeitern, sondern viel eher daran, dass die in Fach-Referate vertikal gegliederte Münchner Stadtverwaltung über keine Mechanismen verfügt, Stadtviertelfragen referatsübergreifend ganzheitlich zu lösen. Somit sieht sich der engagierte Bürger wie der BA häufig in der Aufgabe eines externen (unbezahlten) Koordinators und Moderators für die Münchner Stadtverwaltung. Damit schließt sich der Bogen: Das bürgerschaftliche Engagement in Trudering-Riem kann sich mit dem hohen Niveau kleinerer Umlandgemeinden gut messen, die Aufwertung von BA und Stadtviertel bleibt aber solange eine Mogelpackung, so lange die überwiegende Energie eingesetzt werden muss, um überhaupt ordentliches Gehör zu finden.

Quellen

Direktorium, Presse- und Informationsamt der Landeshauptstadt München (Hrsg.): 50 Jahre Münchner Bezirksausschüsse (1997)

Bäumler, Klaus: Vom Distriktskommissar zum kommunalen Entscheidungsorgan. In: 50 Jahre Münchner Bezirksausschüsse (1997), Direktorium, Presse- und Informationsamt der Lan-deshauptstadt München (Hrsg.):

N.N.: Kurzberichte über die ersten Bürgerversammlungen. In: Direktorium, Presse- und Informationsamt der Landeshauptstadt München (Hrsg.): 50 Jahre Münchner Bezirksausschüsse (1997)